Ula Stöckl Filmemacherin · Professorin
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Spielfilm
Der kleine Löwe
und die Großen
oder
Die Patriarchen
und die Diplomatie

D 1973
16mm
45 Minuten
Schwarz-Weiß
Erstsendung: 17.7.1973, ZDF

Stabliste
Regie
Ula Stöckl
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Darsteller
Martin
Martin Halm
Manfred
Rolf Zacher
Georg
Hans-Peter Hallwachs
Lilo
Gaby Gasser
Signora
Flory Jacoby
Signor
Andras Houdek
plus Komparsen

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Martin in Rom

Inhalt
Manfred nimmt seinen Neffen Martin auf eine Geschäftsreise nach Rom mit. In Rom lebt Manfreds Bruder Georg, bei dem beide wohnen werden. Unterwegs treffen Manfred und Martin das Mädchen Lilo, die ebenfalls auf dem Weg nach Rom ist.

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01: Ein elfjähriger Junge hat gelernt, sich innerhalb seiner Familie ganz frei zu bewegen, außerhalb dieses familiären Kreises erweist sich, daß seine Erziehung ihm nicht dazu verholfen hat, sich anderen Leuten verständlich zu machen. Das heißt, er sieht sich ununterbrochen vor die Alternative gestellt, die ganze Welt zu besiegen oder ständig der Unterlegene zu sein.

Zum Beispiel hat Martin keinen Respekt vor Kultur und Bildung. Er läßt sich von den Erwachsenen in diesem Punkt auch nicht einschüchtern. Es imponiert ihm nicht, daß die alles über Raffael oder über Kirchenfenster wissen. Er vergleicht ungeniert alles, was er sieht und hört, mit seinen Lieblingshelden Asterix und Obelix, die auch schon mal in Rom waren, und wenn Manfred von Romeo und Julia redet, spricht Martin von Falbala, der großen Liebe von Obelix, die von ihm einen Hinkelstein geschenkt bekommt.

Martin weiß auch nichts von der Verpflichtung, Dankbarkeit zu zeigen. Natürlich findet er es nett, daß Onkel Georg ihm am ersten Abend in Rom sofort ein paar Bücher schenkt, Jojos, Luftballons und Eis und alles Mögliche, wonach er im übrigen gar nicht verlangt hat, was der Onkel ihm aber spontan anbietet, weil „er doch das erste Mal in Rom ist, und das soll ein unvergeßliches Erlebnis” werden. Onkel Georg will im Herzen von Martin für sich ein Denkmal errichten, an dem Martin innerlich dankbaren Gemüts vorbeimarschiert oder stehenbleibt, wenn er sich später an die Reise nach Rom erinnert. Also Planung der kommenden Vergangenheit.

Man kann es so sagen: Die erwachsenen Männer wollen Martin gewinnen und tun deshalb alles für ihn. Je mehr sie für ihn tun, desto mehr distanziert sich Martin von ihnen, weil er sich bedroht fühlt und sich Luft verschaffen muß.
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Dieses Sich-Luft-Verschaffen aber wird zu einem Vorgang, den die erwachsenen Männer nur als frech, aggressiv, undankbar und schlecht erzogen deuten können. Dazu kommt, daß Martin schön ist. Frauen verlieben sich in ihn und ergreifen spontan seine Partei, wenn er mit Männern in Schwierigkeiten gerät. Das verstehen die erwachsenen Männer aber ganz stark als Konkurrenz und spielen jetzt noch mehr ihre Überlegenheit im Mehrwissen, im Stärkersein, im Unabhängigsein aus.

Als Elfjähriger ist Martin den erwachsenen Männern jedoch total ausgeliefert: materiell, da er nicht über eigenes Geld verfügt, körperlich, da er unter ihrer Aufsicht steht, emotional, weil Kinder sich grundsätzlich in unserer Gesellschaft die Liebe der Erwachsenen zu verdienen haben und pausenlos beweisen müssen, daß sie die Zuneigung der Erwachsenen auch verdient haben, daß sie es „wert” sind, „Gegenstand” von so viel Zeitinvestition, um nicht zu sagen, Zeitverschwendung zu sein.

Im Verhältnis Kinder/Erwachsene wird die Liebe ganz eindeutig sichtbar zu einem Ausbeutungsmittel auf Gegenseitigkeit, sichtbarer als bei Erwachsenen untereinander, weil das Kind aus seiner oben beschriebenen Position heraus ja entsetzlich viel schuldig bleiben muß. Es hat nichts, außer seiner Zuneigung, was es den Erwachsenen entziehen oder geben könnte.

Nun sind die Patriarchen, die Martin umgeben, auch einmal solche Kinder gewesen, die den Erwachsenen ihrer Umgebung alles schuldig bleiben mußten und vielleicht mit der gleichen Radikalität wie Martin von diesen Erwachsenen gefordert haben, sich mit ihnen gefälligst auseinanderzusetzen. Früher wurde das aber eindeutig autoritär gelöst. Heute trauen sich die meisten etwas aufgeklärten Erwachsenen nicht, eindeutig autoritär zu sein, sind es aber. Das heißt, ihr liberales, aufgesetzt anti-autoritäres Verhalten ist eine Attitüde, die ihnen den praktischen Umgang mit Jugendlichen geradezu zur Qual macht, weil es sich dauernd gegen die eigenen Gefühle richtet.

Daraus resultiert unbewußt Neid. Martin wird für die erwachsenen Männer zum Ärgernis. Plötzlich sieht er sich der Forderung ausgesetzt, die Vorteile, die er in ihren Augen der eigenen Vergangenheit gegenüber besitzt, wenigstens nicht so schamlos zur Schau zu stellen, sich doch wenigstens „diplomatisch” zu verhalten.

Das aber kann Martin nicht. Für ihn heißt Diplomatie unehrlich sein. Das bedeutet, daß er einen Kampf eingeht, den er nicht gewinnen kann. Für den Ausgang dieses Kampfes aber tragen die Patriarchen die Verantwortung.
Ula Stöckl
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Presse
01: Ula Stöckl erzählt Martins Romfahrt, die ihn weder zur Via Appia (Asterix!) noch zum Speiseeis führt, locker, sensibel, für Augenblicke abgründig absurd. Die kritischen Widerhaken, daß ein kleiner Mann weder seinen Erwartungen, noch seinen Irrtümern folgen darf, versteckt sie wie Fallen in ihrem flotten Abenteuerfilm.
Ingrid Seidenfaden, Münchner Merkur, 19. 07. 1973
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02: Es ist Ula Stöckl geglückt, sich in ihrer Regieperspektive ganz mit der Perspektive des elfjährigen Martin zu identifizieren. Das Gerede und Geschwätz der Großen ist demzufolge oberflächlich und für das Kind unwichtig; Rom wird zu einem Puzzle von Details und Ornamenten, die nur ein Kind so sehen kann.
gesta, Stuttgarter Zeitung, 19. 07. 1973
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03: Daß Kinder auf Reisen meist die Blitzableiter für die „Großen” sind und mit Wechselbädern von gönnerhafter Kumpanei und autoritärem Gemeckere bedient werden, gehört zu den unbewußten Verhaltensnormen des mitteleuropäischen Streß- und Leistungsmenschen. Ula Stöckl demonstriert diesen Zustand der Machtausübung an der Romreise eines Zwölfjährigen mit seinem Patenonkel.
Ponkie, Abendzeitung, 19. 07. 1973
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Ula Stöckl erzählt Martins Romfahrt, die ihn weder zur Via Appia (Asterix!) noch zum Speiseeis führt, locker, sensibel, für Augenblicke abgründig absurd. Die kritischen Widerhaken, daß ein kleiner Mann weder seinen Erwartungen, noch seinen Irrtümern folgen darf, versteckt sie wie Fallen in ihrem flotten Abenteuerfilm.
Ingrid Seidenfaden, Münchner Merkur, 19. 07. 1973

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